Diabetes

Altersdiabetes: Dieses Wort hören Ärzte heute gar nicht mehr gern, wenn von Typ-2-Diabetes die rede ist. Aus verschiedenen Gründen. Natürlich trifft der Typ 2 vor allem ältere Menschen. Mehr als die Hälfte aller Diabetiker in Deutschland ist über 65 Jahre alt. In der Altersgruppe zwischen 75 und 80 hat sogar fast jede dritte Frau und jeder vierte Mann Diabetes. Aber auch in mittleren Lebensjahren und sogar bei Jugendlichen und Kindern wird die Krankheit heute immer häufiger diagnostiziert – eine Folge von Bewegungsmangel und Übergewicht. Oft gehen Bluthochdruck und Diabetes Hand in Hand und um ihnen entgegen zukommen beschreiben wir verschiedene Behandlungsmethoden.

Außerdem erweckt das Wort Altersdiabetes den Eindruck, im Alter sei Diabetes fast normal. „Das bisschen Zucker, das macht doch nichts“, hieß es früher oft. Dabei steht längst fest: Die Zuckerkrankheit ist keine harmlose Begleiterscheinung des Älterwerdens, sondern eine ernst zu nehmende Krankheit. Deren Behandlung ist auch im hohen Alter wichtig, um die Gesundheit und Lebensqualität zu erhalten.

Organfunktion lässt nach

Doch im Alter verändert sich einiges, was bei der Behandlung brücksichtigt werden sollte. Zum Beispiel werden Medikamente bei älteren Menschen oft langsamer verstoffwechselt. Das beeinflusst ihre Wirkung und das Risiko für Nebenwirkungen. Etwa für Unterzuckerung, wenn sich der Wirkstoff eines Zuckersenkers im Blut anhäuft. Zudem schlucken alte Menschen meist viele verschiedene Tabletten – nicht nur gegen Diabetes, sondernoft auch für bessere Blutdruck- oder Cholesterinwerte und gegen Krankheiten wie Arthrose oder Gicht. Im Durchschnitt nehmen über 80-Jährige  sieben bis acht verschiedene Wirkstoffe ein, so der Arzneimittelreport der Barmer GEK. „Bei der Auswahl und Dosierung eines Medikaments muss der Arzt deshalb beachten, dass ältere Menschen besonders durch Wechsel- und Nebenwirkungen gefährdet sind“, sagt Dr. Jürgen Wernecke, Chefarzt der Klinik für Diabetologie und der Medizinisch – Geriatrischen Klinik am Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg.

Hauptrisiko: Unterzuckerung

Dass für die Diabetestherapie in fortgeschrittenen Jahren andere Richtlinien gelten sollten als bei jüngeren Menschen, darüber sind Experten sich seit Langem einig. früher galt bei der Diabetesbehandlung im Alter oft die Devise: „Das kann man lockerer sehen – Spätfolgen schlechter Zuckerwerte erlebt man ja vielleicht gar nicht mehr…“

Inzwischen hat sich diese Einstellung geändert. Ein schlecht behandelter Diabetes mit ständig erhöhten Zuckerwerten kann älteren Menschen im Alltag stark zu schaffen machen. Vermehrter Durst, häufiger Harndrang (weil überschüssiger Zucker über die Nieren ausgeschieden wird), Schlaf- und Konzentrationsstörungen oder schlecht heilende Wunden sind nur einige möglichen Folgen.

Auf der anderen Seite gilt es aber, Unterzuckerungen zu vermeiden. Denn diese stellen für ältere oder hochbetagte Menschen die größte Gefahr dar: Das Risiko für Unfälle und Stürze steigt, die Gehirnleistung lässt nach, und auch das Herz ist gefährdet, weil der Körper im Stress der Unterzuckerung Botenstoffe ausschüttet, die Puls und Blutdruck in die Höhe treiben. Zudem bemerken alte Menschen Unterzuckerungen oft nicht rechtzeitig oder schieben Warnzeichen wie Zittern, Schwindel und Herzklopfen auf ihr Alter.

„Wie streng die Blutzuckerwerte behandelt werden, muss immer an die besondere Situation eines alten Menschen angepasst werden“, sagt Diabetologin Ingrid Weber aus Emden. Ein geistig und körperlich rüstiger Diabetiker kann auch im hohen Alter ähnliche Zuckerwerte anstreben wie ein jüngerer Mensch: etwa mit dem Ziel eines HbA1c-Wertes zwischen 6,5 und 7,5 Prozent. Der HbA1c wird etwa alle drei Monate vom Arzt bestimmt und zeigt, wie gut der Blutzucker durchschnittlich eingestellt ist.

HbA1c unter 8 oft ausreichend

„Bei gebrechlichen Menschen, deren körperliche und geistige Kräfte stark eingeschränkt sind, reicht es dagegen oft schon, wenn der HbAlc-Wert nicht über acht Prozent steigt“, so Diabetologe Wernecke.

Entsprechend sollten die nüchtern am Morgen oder vor einer Mahlzeit gemessen Blutzuckerwerte bei ihnen nicht unter 120 mg/dl (6,7 mmol/l) liegen. „Dann sinkt das Risiko deutlich“, betont Experte Wernecke. Anderseits sollte der HbA1c acht Prozent möglichst nicht überschreiten, weil sich sonst Symptome einer Überzuckerung wie etwa Kraftlosigkeit oder Kontinenzprobleme häufen. „Gelegentliche Ausreißer des Blutzuckers sind meist kein Grund zur Besorgnis“, sagt Wernecke. „Dauerhafte Zuckerwerte von über 250 mg/dl (13,9 mmol/l) sollten aber vermieden werden.“

In bestimmten Situationen kann es jedoch auch bei gebrechlichen Senioren nötig sein, den Blutzucker vorübergehend strenger einzustellen: etwa wenn eine diabetesbedingte Fußwunde nicht heilen will, um eine drohende Amputation abzuwenden. In solchen Fällen kann die zeitweise Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst helfen.

Therapie nicht ohne Not ändern

Viele alte Menschen spritzen seit Jahren oder Jahrzenten Insulin. „Eine gewohnte Therapie sollte man nicht ändern, solange ein Hochbetagter gut damit klarkommt, seine Insulindosis selbstständig festlegen und sich das Insulin verabreichen kann“, sagt Diabetologin Ingrid Weber, die regelmäßig ältere Patienten zu Hause und im Pflegeheim besucht. Klappt das nicht mehr, kann eine Vereinfachung der Therapie sinnvoll sein – wenn nötig mit Unterstützung durch einen Pflegedienst und nach einem vom Arzt vorgegebenen Schema.

Unterstützung durch Fachkräfte

Diabetes-Pflegefachkraft Beate Niendorf fährt dazu viermal täglich bei ihren Patienten vorbei. „Die Blutzuckerwerte sende ich an die behandelnde Diabetologin“, sagt Niendorf. „Sie entscheidet dann, ob die Insulintherapie angepasst werden muss“.

Auf die einfachere, aber weniger flexible Therapie mit Mischinsulin sollte ein älterer Diabetiker erst umgestellt werden, wenn Angehörige oder ein Pflegedienst die Injektionen übernehmen. „Sonst kann es passieren, dass ein alter Mensch sich aus jahrelanger Routine seine selbst berechnete Insulindosis spritzt, etwa zum Essen, dabei aber übersieht, dass es sich um Mischinsulin handelt. Das kann infolge der anderen Dosierung zu schweren Stoffwechselentgleitungen führen“, warnt Diabetologe Wernecke.

Auch bei der Behandlung mit blutzuckersenkenden Tabletten heißt es besonders bei alten Menschen: Unterzuckerung en vermeiden! Viele Diabetes.Medikamente werden über die Nieren ausgeschieden. Mit zunehmendem Alter lässt die Nierenfunktion nach – und dadurch verlängert sich auch die Wirkung von Medikamenten. Das kann das Risiko für eine Unterzuckerung deutlich erhöhen. „Besonders gilt das für Tabletten aus der Gruppe der Sulfonyharnstoffe“, sagt Jürgen Wernecke. Präparate mit dem Wirkstoff Metformin wiederum, die zu den am häufigsten verordneten Diabetes-Tabletten zählen, können bei fortgeschrittener Nierenschwäche zu einer gefährlichen Übersäuerung des Blutes führen. Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich dagegen Blutzuckersenker aus der Gruppe der Gliptine. Sie können, in reduzierter Dosis, auch bei nachlassender Nierenleistung eingesetzt werden, ohne dass das Unterzuckerungsrisiko steigt. Oft genügt es, sie einmal am Tag einzunehmen, was älteren Menschen ebenfalls entgegenkommt.

Behandlung mit Tabletten

Während man bei jüngeren Menschen mit Typ-2-Diabetes auch mehrere Blutzuckersenker kombiniert,um die Werte in den gewünschten Bereich zu bringen, verbietet sich das im Alter häufig. Zu groß wäre das Risiko für Neben- und Wechselwirkungen. „Oft ist es dann besser, zusätzlich zu einer blutzuckersenkenden Tablette Insulin zu spritzen oder ganz auf Insulin umzusteigen“, sagt Diabetologe Wernecke. „Besonders ältere Menschen, die untergewichtig sind, können davon profitieren“, so der Experte, „weil Insulin die Gewichtszunahme fördert.“ Mit den Blutzuckerwerten bessern sich auch Altersbeschwerden wie Müdigkeit, Konzentrationsschwäche oder Schwindel. „Leider erfolgt der Wechsel auf Insulin häufig zu spät“, bedauert Jürgen Wernecke. Welche Art von Insulintherapie gewählt wird, hängt vom Einzelfall ab. Wer nur vor dem Frühstück zu hohe Werte hat, kann ergänzend zur Tabletteneinnahme einmal täglich ein lang wirkendes Insulin spritzen.

Sind die Werte vor allem nach dem Essen zu hoch, hilft kurz wirkendes Insulin zu den Mahlzeiten. Typ-2-Diabetiker mit regelmäßigem Tagesrhytmus und konstanten Essgewohnheiten kommen oft gut mit einer Therapie zurecht, bei der morgens und abends eine fixe Mischung aus Lang- und Kurzzeitinsulin gespritzt wird. Und wer geistig und körperlich fit genug ist, kann nach entsprechender Schulung auch im Alter noch eine intensive Insulintherapie beginnen.

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